StartPilotentippsBlogPauls PilotentippsPauls Pilotentipp #26: „Landen bei Rückenwind“ – oder: „Fahrt ist das halbe Leben“

Pauls Pilotentipp #26: „Landen bei Rückenwind“ – oder: „Fahrt ist das halbe Leben“

Ich bin mal wieder gemeinsam mit meiner Frau und meinem Tandemschirm unterwegs quer durch die Alpen in unterschiedlichen Fluggebieten. Dabei hatten wir auch einen längeren Zwischenstopp in einem sehr angenehmen Fluggelände: Meduno im Friaul, großer Startplatz, Top-Landemöglichkeiten und am Fuße des Monte Valinis große Landeflächen.

Der Hauptlandeplatz ist besonders groß, die Bar daneben ein guter Treffpunkt mit leckerem Espresso und einem gelegentlichen Shuttle-Service.

Viele Flugschulen sind verständlicherweise auch dort und so hat man als inkognito reisender Fluglehrer und Prüfer sehr schöne Beobachtungsmöglichkeiten über aktuelle Schulungsmethoden und didaktischen Ansätze insbesondere der osteuropäischen Schulungsanbieter.

Der Landeplatz hat einige thermische Besonderheiten und sehr oft wechselt der Wind von der erwarteten Hauptwindrichtung kurzfristig um 180° – und schon muss man bei Endanflug mit einer Rückenwindsituation rechnen!

Interessant zu beobachten ist bei vielen Piloten (und deren Fluglehrern), dass hierauf gar nicht reagiert wird, und die meisten Landungen eher in den Bereich der Protektoren-Testreihen oder Knie-Arthrose-Beschleunigungsverfahren gehören:

Die meisten zu beobachtenden Landungen bei Rückenwind erfolgten sehr stark angebremst – und die vorhandene Rest-Dynamik reichte in der Regel nicht für einen deutlichen Abfangimpuls und das notwendige sehr deutliche Durchbremsen aus.

KBF-Landungen

Typische KBF (Knie-Bauch-Fresse)-Landungen sind bei solchen Landeverfahren die Folge. Noch schlimmer sind die zum Teil verzweifelten Richtungswechsel im Landeanflug, welche ebenfalls die gleiche beschriebene Purzelbaum-Einleitungsphase nur mit einer höheren Dynamik zur Folge haben.

Solche Rückenwindsituationen wie in Meduno können überall mal passieren, dennoch sind solche beschriebenen harten Einschläge vermeidbar, auch wenn man mit Rückenwind reinkommt:

Wenn wir uns für den Endanflug entschieden haben und haben leider den Wind von hinten- was werden wir empfinden? Richtig: eine deutlich höhere Geschwindigkeit gegenüber dem Boden.

 Leider ist eine menschliche Reflex-Reaktion dadurch gekennzeichnet, dass wir uns bei hohen Geschwindigkeiten gerne festhalten wollen. Dummerweise haben wir die Bremsleinen in der Hand – und eine zu beobachtende Reaktion ist dann das beschriebene deutliches Anbremsen des Schirms.

Ok, die Geschwindigkeit über Grund wird zwar reduziert, aber den Schirm und insbesondere den Rückenwind interessiert das nicht. Für den Schirm ist die Relativgeschwindigkeit in der Luftmasse, welche mit dem Rückenwind bewegt wird, das einzige Maß der Dinge.

Daher bleibt die Geschwindigkeit über Grund immer noch hoch – aber wir haben bei so einer Reaktion jegliche Chance für ein dynamisches Abfangen und Durchbremsen begraben und werden deutlich heftig einschlagen. Verletzungsgefahr inklusive.

Was wäre die richtige Reaktion?

Hände hoch bis an die Führungsrollen! Der Schirm muss in solch einer Situation erst recht schnell sein. Hier müssen wir unseren Bremsreflex unbedingt widerstehen und nun sogar trotz nochmal erhöhter Geschwindigkeit über Grund mental durchhalten.

Der Vorteil ergibt sich dann beim Abfangen und Durchbremsen: Wir haben das komplette Potential, um aus der hohen Geschwindigkeit in knapper Höhe über dem Boden mit einem beherzten Abfangimpuls und dem darauf recht schnell folgenden Durchbremsen („bis zu den Knöcheln“) die nun vorhandene hohe kinetische Energie für ein deutliches Verlangsamen zu nutzen und weitgehend weich und verletzungssicher auf den Füßen zu landen.

Also merke:

  • Nachdem die Entscheidung für die Landerichtung gefallen ist – konsequent die Richtung im Endanflug beibehalten – keine spontanen Richtungswechsel mehr!
  • Auf die gefühlte Geschwindigkeit über Grund achten: Ist diese höher als bei normalen Landungen gegen den Wind: Hände hoch bis an die Führungsrollen! Laufen lassen! Nicht anbremsen! Reflex widerstehen, eigene Laufbereitschaft herstellen!
  • In knapper Höhe über Grund (Füße ca. 1 m über dem Boden): Deutlich Anbremsen und zügiges Durchbremsen. Dabei ist die Abfolge ist etwas zeitnäher zueinander als bei der normalen Gegenwindlandung.
  • Freuen über eine weiche Landung. Und das nächste Mal wieder rechtzeitig alle Windindikatoren beobachten und dann die richtige Endanflugrichtung wählen.
Paul Seren

Paul Seren
ist Papillon-Fluglehrer, Dipl.Ing. der Luft- und Raumfahrttechnik, Mitglied im DHV-Lehrteam, begeisterter Flugsportler der ersten Stunde und Tandempilot.

In seinem Blog „Pauls Pilotentipps“ informiert er in loser Folge über Wissenswertes und Aktuelles rund ums Gleitschirmfliegen.

paul@papillon.de

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