StartPilotentippsBlogPauls PilotentippsPauls Pilotentipp #23: Gib Gas – und das richtig…

Pauls Pilotentipp #23: Gib Gas – und das richtig…

… mit dem Beschleuniger/Speed-System:

In der Begriffsklärung bei Wikipedia wird „Beschleuniger“ unter anderem mit „umgangssprachlich bei Trinkgelagen meist hochprozentige alkoholische Getränke, die getrunken werden, um ein schnelleres Erreichen des rauschhaften Zustandes zu bewirken“ erklärt.

Nun ja, Rauschzustände erreichen wir ja beim Gleitschirmfliegen auch ohne Alkohol – jedenfalls ist es DAS Hobby mit Suchtgefahr! Ich bin schon froh, dass es gegen meine „Flugsucht“ bisher keine Therapie gibt…

Zurück zum Beschleuniger unser Sucht:

Hierbei handelt es sich um eine interessante Kombination, bestehend aus unserem Gurtzeug, den Tragegurten (und damit unserem Gleitschirm) und uns selber.

Auch hier zeigt sich, dass die grundsätzliche Gleitschirmkonstruktion eine Besonderheit in der Luftfahrt ist. Diese Art der Verstellmöglichkeit der Tragflächenanströmung gibt es nur für unsere Flug-Tücher:

Durch mehrere Umlenkungen und einen kleinen „doppelten“ Flaschenzug wird bei Betätigung des Beschleunigers die Durch-Drück-Kraft der Beine dazu genutzt, die vorderen Leinen in Bezug auf die Aufhängung am Karabiner um mehrere Zentimeter (zum Beispiel etwa 12 Zentimeter bei einem Gleitschirm in der Größe M) zu verkürzen.

Damit wird der so genannte Anstellwinkel verringert – dadurch verringert sich der Widerstand und auch der Auftrieb unseres Luftfahrtgerätes – was an der steigenden Vorwärts- und der ebenfalls erhöhten Sinkgeschwindigkeit spürbar wird. Siehe Bild 1: Polare mit Beschleuniger-Bereich (gelb).

Damit diese Verstellung gleichmäßig auf alle Leinenebenen wirkt, haben sich die Gleitschirmhersteller eine interessante Konstruktion einfallen lassen, welche bei der Betätigung des Beschleunigers die jeweiligen Leinenebenen proportional mit nach unten zieht.

Wie man an der Grafik erkennen kann, wird die gesamte Profilebene gleichmäßig geneigt, das Profil selber behält seine Form. Die Geschwindigkeit des Gleitschirms nimmt ungefähr um gut 10 km/h bei 100% getretenem Beschleuniger zu, die Sinkgeschwindigkeit verdoppelt sich im Vergleich zur Geschwindigkeit des geringsten Sinkens („Bremsleinen Schulterhoch angebremst“).

Obacht:

Beim voll durchgetretenem Beschleuniger wird der Bereich des Anstellwinkels und der damit zugehörigen Geschwindigkeit mit der höchsten Kappenstabilität verlassen – die Gleitschirmkappe wird anfälliger gegenüber Störungen!

Anders ist es jedoch, wenn wir mit angelegten Ohren fliegen: Durch die verringerte Tragfläche und den gleichzeitig erhöhten Widerstand erhöht sich aus aerodynamischer Sicht der Anstellwinkel der „Rest-Tragfläche. In diesem Fall ist der voll durchgetretene Beschleuniger eine sehr gute Unterstützung zur Anpassung des Anstellwinkels in Richtung eines sinnvollen Anströmungswinkels und einer gleichzeitig sinnvollen sicheren Erhöhung der Fluggeschwindigkeit: Mit angelegten Ohren wollen wir ja von einem zu starken Aufwind und/oder einer eventuell für uns zu turbulenten Luftschicht wegkommen. Daher ist diese Kombination von angelegten Ohren und Beschleuniger bevorzugt anzuwenden.

Diese Kombination, welche auch in der Höhenflugschulung ausgebildet wird, ist eine der wesentlichen, kompakten und einfach zu beherrschenden Abstiegshilfen.
Damit das Ganze gut und auch für längere Abstiegs-Vorhaben belastungsfrei funktioniert, sollte der Beschleuniger korrekt eingestellt sein.

Was ist nun korrekt?

Einfache Antwort: Die Knie müssen bei 100% Beschleuniger komplett durchgedrückt sein und die beiden Umlenk-Röllchen des Beschleunigers müssen aufeinander stoßen. Warum durchgedrückte Knie? Ohne durchgedrückte Knie wird man den Muskelkater spätestens am nächsten Tag spüren: Der Leinenzug gerade auf der A und B-Ebene ist so stark, dass wir mit einer geknickten Beinhaltung dies nur zeitlich begrenzt aushalten.

Zum Einstellen des Beschleunigers nutzt man am besten einen Gleitschirm-Aufhänge-Simulator (bei der Flugschule deines Vertrauens): Du setzt dich normal ins Gurtzeug und drückst bei eingehängten Brummelhaken das Speed-System vollständig durch. Nun sollten die Röllchen direkt übereinander stehen (siehe PDF zu diesem Artikel, 2. Seite, 3. Bild).

Wenn nicht: In meinem letzten Beitrag habe ich einen Knoten beschrieben, welcher entweder am „Brummelhaken“ oder an der Querstange des Fußbeschleunigers angebracht werden kann. Mit diesem Knoten ist es einfach, die benötigte Länge einzustellen: Hierzu wird der Gesamtknoten einfach gelockert und die benötigte Länge der Schnur durch den Knoten hindurch geführt. Danach einfach wieder festziehen – und neu die Länge testen! Diesen Vorgang findest du als Schritt-für-Schritt-Anleitung im PDF zu diesem Artikel unter dem Titel „Knoten verlängern.“

Bedenke:

Da es sich aus mechanischer Sicht um ein Flaschenzugprinzip mit zwei Rollen handelt, wird der doppelte Weg bei halber Kraft für die Verkürzung der Tragegurt-Ebenen benötigt. Also müssen bei 12 cm Weg 24 cm mit den Beinen getreten werden. Falls sich noch etwa 2 cm Abstand zwischen den Rollen bei voll getretenem Beschleuniger befinden, muss die Beschleuniger-Schnur am Brummelhaken oder an der Querstange um 4 cm gekürzt werden. Zum korrekten Einstellen des Speedsystems ist es sehr sinnvoll, sich helfen zu lassen.

Viel Spaß beim fröhlichen, unbeschwerten Gas-Geben mit angelegten Ohren beim nächsten Flug!

Paul Seren

Paul Seren
ist Papillon-Fluglehrer, Dipl.Ing. der Luft- und Raumfahrttechnik, Mitglied im DHV-Lehrteam, begeisterter Flugsportler der ersten Stunde und Tandempilot.

In seinem Blog „Pauls Pilotentipps“ informiert er in loser Folge über Wissenswertes und Aktuelles rund ums Gleitschirmfliegen.

paul@papillon.de

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