Unser Gleitschirm ist aus unterschiedlichen Aspekten heraus eine äußerst intelligente Konstruktion:
Mehrere Meter Stoff, ein paar Schnüre und einige Verstärkungen sind so zusammen genäht, dass daraus bei artgerechter Anwendung ein auftriebsstarker, kurvenwilliger, gerne startender Tragflügel mit eigenstabilen Flugeigenschaften entsteht.
Unser Flügel ist wahrlich zum Fliegen konstruiert und zusammengenäht – die Gleitschirmkonstrukteure haben hierzu einiges an Gehirnschmalz hineingesteckt und in den Schirm einnähen lassen, dass wir darunter unseren Spaß haben.
Wenn wir diesem Flügel einfach ein Gewicht unserer eigenen Masse drunter hängen würden – es würde fliegen! Zwar weitgehend nur geradeaus und in der festgelegten Trimmeinstellung – aber sehr sauber und ohne jegliche Störungen – unser Schirm benötigt uns nicht wirklich.
Mit der Erkenntnis „Der Schirm hat immer Recht“ und der menschlichen Weisheit „Der Klügere gibt nach“ können wir unseren Schirm deutlich besser verstehen und „beherrschen“.
Szenario 1:
Wir ziehen den Schirm vorwärts auf, er bricht zu einer Seite aus.
Unsere „menschliche“ Reaktion: Wir wehren uns, stemmen uns mit aller Gewalt dagegen – und verschlimmern das Ganze. Der Schirm legt sich beleidigt hin und eventuell wir uns auch, wenn wir nicht schnell genug hinterherkommen.
Die richtige Reaktion: Wir gehen genau dorthin, wo uns der Schirm haben möchte. Der Fluglehrer spricht dann von „Unterlaufen“. Wir machen das deutlich. Wir helfen dem Schirm – und tricksen ihn intelligent dadurch aus, wenn wir einen „Tacken“ schneller wieder unter ihm sind. Und mit der Steuerleine auf der anderen Seite bringen wir ihn behutsam wieder in die Richtung, in der WIR starten wollen.
Szenario 2:
Beim Rückwärtsaufziehen zerrt uns der Schirm den Hang hinauf.
Schon wieder unsere „menschliche“ Reaktion: Wir wehren uns, stemmen uns mit aller Gewalt dagegen – und verschlimmern damit das Ganze. Wir werden immer weiter mitgezogen.
Die richtige Reaktion: Hinterher! Und zusätzlich die hinterste Leineneben deutlich an den Körper ran: Damit machen wir das Profil kaputt – das aerodynamische Gebilde wird wieder zu einem Stück Stoff.
Szenario 3:
Wir fliegen in die Thermik rein – der Schirm kippt nach hinten, wir pendeln nach vorne, der Steuerleinenzug wird deutlich höher.
Die menschliche Reaktion: Erschrecktes „Abstützen“ mit den Steuerleinen – alles wird schlimmer, das Pendeln verstärkt sich.
Die richtige Reaktion: Der Schirm hat uns doch sogar deutlich „gesagt“ wohin er die Steuerleinen haben möchte – nach oben. Deswegen hat er ja daran gezogen! Also geben wir nach, und halten den normalen Steuerleinenzug aufrecht.
Szenario 4:
Wir fallen aus der Thermik raus – der Schirm kippt nach vorne, der Steuerleinenzug wird schlabberig.
Die menschliche Reaktion: Eher keine. Erschrecktes Nichtstun. Der Schirm kann nun einen Klapper kassieren.
Die richtige Reaktion: Den Steuerleinenzug sofort wieder aufbauen – eventuell durch sehr deutlichen Ziehen an den Steuerleinen. Auch hier sagt uns der Schirm, was er braucht.
Paul Seren
ist Papillon-Fluglehrer, Dipl.Ing. der Luft- und Raumfahrttechnik, Mitglied im DHV-Lehrteam, begeisterter Flugsportler der ersten Stunde und Tandempilot.
In seinem Blog „Pauls Pilotentipps“ informiert er in loser Folge über Wissenswertes und Aktuelles rund ums Gleitschirmfliegen.