Wer kennt das nicht von uns: Wir stehen vor einer neuen Herausforderung, etwas in unserem Leben hat sich geändert, wir erlernen einen Beruf, wir haben unsere erste Arbeitsstelle, wir wechseln das erst Mal die Abteilung, wir ziehen erst Mal um, etwas Ungewohntes steht vor der Tür, wir werden überrascht und innerlich gerührt, wir verlieben uns das erste Mal – und: wir fliegen das erste Mal.
Diese „ersten Male“ bleiben uns unlöschbar in Erinnerung, bleiben tief in uns stecken, berühren uns, verschaffen uns ein wohliges Gefühl und sind Teil unseres Lebens.
Mein erster „Flug“ liegt nun über 41 Jahre zurück – mit einem Hängegleiter an einem Übungshang in der Nähe von München.
Ich spüre noch heute ein Prickeln bei dem Gedanken an diesen Moment: Eine Mischung aus innerer Aufregung, Vorfreude, Sorge und dann der Moment des „selber Abhebens“ – einen Moment lang schwebend, staunend, das Weggleiten des Bodens unter den Füssen wahrnehmend, losgelöst von der Bodenhaftung – damals durch ein bisschen Stoff und Alurohre befähigt zu gleiten. Irgendwo im Hintergrund gab mein Fluglehrer Geräusche von sich – ich vermute es wahren hilfreich gemeinte Anweisungen, die mich damals aber nicht erreichten: Funkgeräte hatten wir nicht dabei, die Sprachorgane des Fluglehrers mussten ausreichen.
Wahrscheinlich aufgrund meiner mangelnden Interpretation seiner gutturalen Laute war die Landung auf dem Bauch schneller und stürmischer da als gedacht – aber es ändert bis heute nichts an dem einschneidenden positiven Erlebnis.
Gut 20 Jahre später mit dem ersten Gleitschirmflug kann das Déjà-vu: Ein Abheben und Hineingleiten in die Luft – und das mit noch weniger Materialaufwand als damals. Ebenfalls ein „erstes Mal“ an einem Übungshang – diesmal in der Rhön. Alle anderen „ersten Male“, wie zum Beispiel der 1. Höhenflug in den Alpen, der 1. Thermikflug, die erste Startüberhöhung, die 1. Toplandung, die 1. längere Strecke haben ähnliche Markierungen in mir gesetzt – und trotzdem sind sie nicht ganz vergleichbar mit dem ersten Abheber von damals.
Wie schmerzlich ich dieses Abheben vermisst habe, wurde mir in den intensiven mit Flugverbot auferlegten Monaten in der heißen Phase der „Corona“- Zeit bewusst. So war das 1. Abheben nach den ersten Lockerungen wieder ein besonderer Moment, der sich einprägen wird:
Mir wurde klar, welchen Luxus wir genießen, diese Sportart überhaupt ausüben zu können. Es ist unbeschreiblich gut, dass wir seit einigen Jahrzehnten in der Lage sind, mit einfachen Luftsportgeräten den uralten Menschheitstraum wahr werden zu lassen. Dahinter verschwinden alle anderen alltäglichen Sorgen und auch Streitereien.
Dieses „1. Mal nach Covid“ hat mir noch mehr Demut gegeben, auch mit dem wenigen schon mehr als zufrieden zu sein – sei es auch nur ein Abgleiter am Abend oder ein zufällig doch noch langer Flug. So intensiv habe ich meine Flug-Leidenschaft schon lange nicht gespürt.
Ich wünsche jedem diese Freude am Neustart – bei jedem Flug. Egal kurz, lang, allein im Solo-Schirm oder zu zweit im Tandem. Und dazu auch den Respekt vor dem Medium, in dem wir uns bewegen, damit kein Flug das „letzte Mal“ wird.
Paul Seren
ist Papillon-Fluglehrer, Dipl.Ing. der Luft- und Raumfahrttechnik, Mitglied im DHV-Lehrteam, begeisterter Flugsportler der ersten Stunde und Tandempilot.
In seinem Blog „Pauls Pilotentipps“ informiert er in loser Folge über Wissenswertes und Aktuelles rund ums Gleitschirmfliegen.