In den letzten Beiträgen meiner Pilotentipps ging es um den Kurvenflug und um das Kreisen in der Thermik.
Angenommen, wir sind in den Genuss eines langen Thermikfluges gekommen und konnten diesen für eine längere Strecke mit einer längeren Flugzeit nutzen, werden schon während des Fluges oder spätestens am nächsten Tag merken, ob unser Gurtzeug so wie wir auf den langen Flug vorbereitet war und ob wir unseren Körper in der richtigen Lage hatten. Ja und woran?
- Während des Fluges: Durch eine unangenehme Sitzhaltung
- Nach dem Flug: Durch eventuellen Muskelkater im Bauch und an den Armen
Entspannt Fliegen: Die Sitzhaltung während des Fluges
Die unangenehme Sitzhaltung macht sich sehr schnell bemerkbar: Wir sitzen nicht „gescheit drin“, es zwickt und zwackt, es wackelt oder eben nicht, wir kommen nicht gut rein und auch nicht gut raus. Wir fühlen uns unwohl. Obwohl das Gurtzeug doch so toll passte, als wir uns im Shop bei der Flugschule unseres Vertrauens mal reingesetzt hatten. Auch die Farbe war cool. Aber scheinbar haben wir einiges übersehen.
Wir müssen immer daran denken, dass wir vielmehr als mit dem Schirm mit dem Gurtzeug „in Berührung“ sind. Möglicherweise auch in unruhiger Luft, wenn wir eben die thermischen Bedingungen intensiver nutzen möchten.
Wir sollten auch daran denken, dass unser Gurtzeug mit großer Wahrscheinlichkeit mit der Zeit mehrere Schirme über sich kennenlernen und unser langfristiger Begleiter sein wird. Dies sollte uns eine genaue Prüfung, Auswahl und konsequente Einstellung wert sein.
Zur Gurtzeug-Einstellung gibt es gerade in der aktuellen DHV INFO (Ausgabe 193) sehr hilfreiche Hinweise, welche die Auswahl und das Finden der passenden Einstellung erleichtern – lesenswert!
Grundsätzlich sollte der Sitz so eingestellt sein, dass wir wie auf einem einfachen Holzstuhl sitzen (Abbildung 1): Rücken aufrecht, Oberschenkel aufliegend, und die Unterschenkel senkrecht nach unten.
Wichtig ist auch zu wissen, dass der Neigungswinkel des Gurtzeuges beim Flug etwas nach hinten geht – durch den Luftwiederstand, den wir samt unseres Gurtzeuges als „Knubbel“ unterhalb des Gleitschirmes bilden: Das Gurtzeug geht etwas nach hinten und wir fliegen aufgerichteter als in der Aufhängung im Shop.
Nicht selten kommt es vor, dass Flugschüler schon während der Ausbildung eine Präferenz für ein bestimmtes Gurtzeug entwickelt haben, was die Auswahl schon mal erleichtert.
Meine Empfehlung:
Nimm dir Zeit und ein gutes Buch, komme in den Papillon Fliegershop, probiere mehrere Gurtzeuge aus, setze dich dann in das Gurtzeug deiner engeren Wahl und lies eine Stunde lang im mitgebrachten Buch (Alternativ kann es die Nachbereitung der Luftrecht-Prüfungsfragen sein :-)).
Wenn du dich nach einer Stunde im Gurtzeug immer noch wohlfühlst, dann ist es mit größter Wahrscheinlichkeit genau das Richtige für dich. Falls nicht, lies weitere zwei bis drei Kapitel in deinem Buch – aber natürlich in einem anderen Gurtzeug.
Eine wichtige Rolle bei der Auswahl eines Gurtzeuges spielt auch der geplante, individuelle Anwendungsfall.
Beispiel Wendegurtzeug mit Airbag: Weil der Airbag seine Schutzwirkung erst nach dem Befüllen mit Luft entfalten kann, ist der Pilot in der ersten Startphase noch nicht geschützt. Besonders für Einsteiger sind deshalb Gurtzeuge zu empfehlen, die auch schon in der Startphase ausreichend Schutz bieten.
Auch die Beweglichkeit könnte leiden – ein Wendegurtzeug ist ein Kompromiss zwischen Leicht, Sitzgelegenheit, Packsack und Rucksack. Es ist halt wie mit einem Multifunktions-Werkzeug aus dem Baumarkt: Kann alles – von Löcher bohren, Kreissägen, bis Gips anrühren und Sahne schlagen… Aber nichts davon kann es richtig gut.
Somit empfiehlt sich ein Wendegurtzeug nur für passionierte Hike&Fly-Piloten, bei denen es auf jedes Gramm ankommt, weil sie ihre Ausrüstung ja erst auf den Berg hochtragen. Alle anderen Luftsportler sind mit einem Hybrid- oder Schaumstoff-Protektor-Gurtzeug mit Sicherheit besser beraten.
Nach dem Flug: Muskelkater?
Wenn ich ab und an als Fluglehrer am Landeplatz stehe, sehe ich oft die in Abbildung 2 skizzierte Sitzhaltung: Weit nach vorne gestreckte Beine, scheinbar um den Luftwiderstand zu verringern, sogar ohne Beinstrecker, welche diese Haltung noch provozieren. Durch diese Haltung bekommt man garantiert Bauchmuskelkater!
Viel besser – auch aus aerodynamischer Sicht – ist die kompakte Sitzhaltung aus Abbildung 1. Warum?
- Wir verlagern unseren Massenschwerpunkt nicht unnötig aus der Nähe des Aufhängepunktes heraus, die Twistgefahr wird eingeschränkt.
- Wir spüren mehr vom Schirm und können sensibler auf Störungen reagieren.
Ein weiterer Auslöser von Muskelkater ist die nach außen gestreckte Armhaltung (Abbildung 3), welche kaum feinfühliges Steuern ermöglicht und auch viel Kraftaufwand benötigt. Besser, feinfühliger, kräfteschonend und dabei noch gut aussehend ist die körpernahe Haltung der Arme wie in Abbildung 4 dargestellt.
Lasse dich mal im Flug filmen und fotografieren – seitlich wie auch von hinten – und vergleiche deine Sitz- und Steuerungshaltung mit den Abbildungen 1-4.
Ich bin mir sicher, dass dein nächster längerer Flug deutlich entspannter wird!
Paul Seren
ist Papillon-Fluglehrer, Dipl.Ing. der Luft- und Raumfahrttechnik, Mitglied im DHV-Lehrteam, begeisterter Flugsportler der ersten Stunde und Tandempilot.
In seinem Blog „Pauls Pilotentipps“ informiert er in loser Folge über Wissenswertes und Aktuelles rund ums Gleitschirmfliegen.