StartPilotentippsBlogPauls PilotentippsPauls Pilotentipp #17: In der Ruhe liegt die Kraft – Vom hektischen Aufzerren des Gleitschirms zum gelassenen und kontrollierten Start

Pauls Pilotentipp #17: In der Ruhe liegt die Kraft – Vom hektischen Aufzerren des Gleitschirms zum gelassenen und kontrollierten Start

Mal wieder am Startplatz, heute mal nicht als Fluglehrer, sondern nur zum Beobachten:

Zu sehen: Interessante Startmethoden, welche in unterschiedlichen Variationen zelebriert werden.

Zwei grundsätzliche „Lager“ sind für mich auszumachen:

  • a) Methode „Kraftvoll und Energiegeladen“: Mit viel Impuls wird in die Leinen reingerannt, der Schirm steigt in sehr dynamischer Form nach oben, im Zenit hat er eine hohe Fahrt – die leider der Pilot trotz Dynamik noch nicht hat. Beim sehr selten erfolgenden und wenn dann nur angedeuteten Versuch eines Kontrollblicks und dem gleichzeitigen Berg-runter-Gestolper will der Flügel schon überholen. Gelegentlich gelingt der Startvorgang trotzdem, falls es nicht schon zum „Frontklapper“ gekommen ist.
  • b) Methode „In der Ruhe liegt die Kraft“: Ein ausreichend deutlicher Startimpuls, dann ein ruhigen Abwarten bei ausreichendem Zug auf den Tragegurten über das Gurtzeug, ein ruhig und gleichmäßig steigender Schirm, welcher mit einer moderaten Geschwindigkeit am Zenit ankommt, sogar viel Zeit für einen richtigen Kontrollblick, welche auch häufig dafür genutzt wird, und dann eine deutliche Beschleunigungsphase. Perfekt! Ach ja, da steht die Fahne von Papillon und es ist eine A-Schein-Schülergruppe… Alles klar 🙂

Worin liegt der Unterschied?

Warum kann der Schirm so ruhig steigen, auch wenn wir nicht wie die Ochsen daran zerren? Schauen wir uns hierzu den Startablauf mal aus seiner aerodynamischen Wirkungsweise an:

Der ausgelegte Schirm (und moderne Schirme erst recht) haben einen „vor“gewölbten Nasenbereich. Diese Vorwölbung wird durch Verstärkungen (Folie, Stäbchen) erreicht.

Gewölbte Flächen liefern Auftrieb – dies ist ja eine der wesentlichen Erkenntnisse, welche dem Menschen zum Fliegen verholfen haben. Da der Schirm mit seinen etwa 5-6 kg noch auf dem Boden liegt, reicht eine leichte Anströmung über die ausgelegte Eintrittskante, um diese ein Stückchen anzuheben (siehe Abb. 1).

Durch dieses Anheben vergrößert sich die wirksame gewölbte Fläche, der Stoff „entwickelt“ sich, der Auftrieb auch, die Kraft reicht aus, das ganze Schirmgewicht anzuheben! (Abb. 2)

Dadurch und durch die einströmende Luft wird das Profil und der Schirm vollständig „aufgeblasen“. Die vorwärts gerichtete Kraft des Tragflügelprofils verhilft dem Schirm dabei nicht nur hoch, sondern beschleunigt ihn auch nach vorne (Abb. 3).

In dieser Zeit muss der Gleitschirmpilot nicht anderes machen, als auf seinen Schirm unter gleichmäßiger Zugkraft über die Tragegurte zu warten:

„Warte auf deinen Schirm!“…

…ist einer der besten Anweisungen in diesem Moment, ich habe sie von meinem Fluglehrerkollegen Johannes Baumgarten gehört und gelernt! Dieser Hinweis trifft den Nagel auf dem Kopf.

Die Geduld des Wartens wird durch die Ruhe im Startvorgang belohnt! Ein Überschießen ist weniger wahrscheinlich. Das Anbremsen kann behutsamer erfolgen, der folgende Kontrollblick darf sich dann auch so nennen. Der ganze Vorgang bis zur Startentscheidung ist kontrollierter und harmonischer.

An dieser Stelle wird auch klar, warum das oft zu beobachtende „Vordrücken“ der A-Gurte überhaupt nichts bringt, sondern den ganzen Aufziehvorgang deutlich stört: Durch das Vordrücken entsteht ein spürbarer Knick in der A-Ebene des Schirms. Damit wird das Profil nach „unten“ abgeknickt“ (Abb. 4 und 5).

Abgesehen davon, dass wir nun ein sehr stark gekrümmtes Profil auf der Vorderseite mit hohen Widerstandswerten erhalten, „schließen“ wir dabei auch noch die Eintrittsöffnung. Damit wird der Start-Frontklapper richtig schön vorbereitet: Kaum Innendruck und Anströmung oberhalb der Eintrittsöffnung. Das mag der Schirm nicht wirklich.

Daher: 

Abgesehen davon, dass der Schirm fast immer recht hat (siehe auch meinen Blog-Beitrag #10 über den „Besserwisser“) sollten wir den Schirm das machen lassen, was er am besten kann: Fliegen! – Und das aufgrund seiner bitte ungestörten Aerodynamik 🙂

Also – raus auf die Wiese, und einfach mal ein paar Vorwärtsstarts mit viel Ruhe machen, den Schirm spüren und selber steigen lassen. Deine Starts werden besser werden! Alternativ und ergänzend: Mache es wie ich und schaue dir die Starts von (Papillon-) Schülern im Kombikurs/Höhenflugkurs an!

Paul Seren

Paul Seren
ist Papillon-Fluglehrer, Dipl.Ing. der Luft- und Raumfahrttechnik, Mitglied im DHV-Lehrteam, begeisterter Flugsportler der ersten Stunde und Tandempilot.

In seinem Blog „Pauls Pilotentipps“ informiert er in loser Folge über Wissenswertes und Aktuelles rund ums Gleitschirmfliegen.

paul@papillon.de

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