Wer kennt das nicht: wir haben endlich mal wieder der Weg zum Flugberg unserer Wahl gefunden – der Chef hat uns freigegeben, es liegt zu Hause keine Familienfeier im Weg, das Auto ist aus der Reparatur wieder zurück, die Ausrüstung gecheckt, und das Wetter soll vom Hörensagen auch irgendwie passen.
Und da stehen wir nun, viele Grundvoraussetzungen stimmen und trotzdem haben wir so ein komisches Bauchgefühl, welches uns vom Start irgendwie abhält. Laut Wikipedia ist Bauchgefühl die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte, Sichtweisen, Gesetzmäßigkeiten oder die subjektive Stimmigkeit von Entscheidungen zu erlangen, ohne begründbaren Gebrauch des Verstandes, also etwa ohne bewusste Schlussfolgerungen. Einfacher: Es ist die Begabung, auf Anhieb eine gute Entscheidung treffen zu können, ohne die zugrunde liegenden Zusammenhänge explizit zu verstehen.
War die so entstandene Entscheidung richtig, spricht man übrigens auch von Intuition – war sie falsch, spricht man schlicht davon, einen Fehler gemacht zu haben. Jetzt stehen wir also an unserem Berg, und dieses Bauchgefühl ist da. Irgendwas gärt in uns, etwas von unseren Randbedingungen stimmt irgendwie nicht, wir können es nicht ganz orten. Eventuell fragen wir uns, warum wir überhaupt fliegen wollen: Geht es um die Befriedigung unserer mittlerweile völlig ausgebrochen Flugsucht, geht es darum, uns selbst etwas beweisen zu wollen oder gar den Freunden (Bekannten, Familienangehörigen, Arbeitskollegen…)?
Aus eigener Erfahrung kann ich da nur empfehlen auf eines der wesentlichen Gesetze der Luftfahrt zurückzugreifen – das LZV. Noch nicht gehört? LZV? Kam das in Luftrecht vor?
Nein – es ist eines meiner eigenen Gesetze: LZV – Lerne zu Verzichten!
Ich habe dieses Gesetz selber mehrfach missachtet – und meine Flugversuche sind gescheitert. Glimpflich, aber trotzdem gescheitert.
Zwei Beispiele:
a) Vor gut 30 Jahren war ich mit (nicht fliegenden) FreundInnen und meinem Hängegleiter auf der Hochries. Die Freunde wollen Skifahren, ich will ihnen zeigen wie toll das Hängegleiten ist. Der Wind: naja, passte irgendwie, etwas zu sehr von rechts. Mit komischem Bauchgefühl raus, und gleich am Start abgeschmiert. Steuerbügel, Seitenrohr und das innere Selbsbewusstsein verbogen. Glück gehabt.
b) Vor 10 Jahren als Gleitschirmflieger in Lüsen/Südtirol. Windwerte hoch, aber für einen Flug mit dem Hängegleiter ok. Am Vormittag schon mit dem Gleitschirm die „Peitler-Runde“ erfolgreich geflogen. Bin ein toller Hecht. Jetzt allen noch die lange Nase zeigen und mit dem Hängegleiter raus. Komisches Bauchgefühl – aber egal. Alles geht gut – tolle Steigwerte nach dem Nachmittagsgewitter, ich habe die Alm für mich alleine. Alle schauen zu, ich steige, gleite und muss aber doch irgendwann mal landen. Am Landeplatz geht das Chaos los, Berg-/Talwindscherung in Bodennähe, der Drachen steht schief, und schon wieder Rohre verbogen. Auch das vom linken Oberarm – eher unter den Namen Knochen bekannt. Weniger Glück gehabt als bei a). Einziger Trost: Ein netter Flug mit dem 3. Fluggerät des Tages (Hubschrauber) am Abend…
Seit dem zweiten, tief eingebrannten Erlebnis horche ich intensiver auf meinen Bauch. Ich hinterfrage meinen Startwunsch. Auch wenn es mir schwerfällt. Das zu lernen hat bei mir 20 Jahre gedauert – ohne schwere Schäden. Solange muss es nicht dauern – daher wünsche ich Euch für Euer Fliegerleben, dass ihr das eigene LZV eher umsetzt!
Paul Seren
ist Papillon-Fluglehrer, Dipl.Ing. der Luft- und Raumfahrttechnik, Mitglied im DHV-Lehrteam, begeisterter Flugsportler der ersten Stunde und Tandempilot.
In seinem Blog „Pauls Pilotentipps“ informiert er in loser Folge über Wissenswertes und Aktuelles rund ums Gleitschirmfliegen.